Ein Zehn-Punkte-Programm für die Bregenzer Stadtentwicklung
das PDF gibts hier zum Download >
01. Städtebau ist sichtbar gemachte Politik
Stadtplanung ist der gebaute Ausdruck des politischen und gesellschaftlichen Selbstverständnisses unserer Demokratie – sie ist sichtbar und erlebbar gemachte Politik. Wem soll sie dienen? Es ist die ureigenste Aufgabe von Stadtplanung und Politik, für einen Ausgleich von privaten und öffentlichen Interessen Sorge zu tragen. Zum Wohle der Allgemeinheit, um gute Lebensräume und somit einen Gewinn für alle zu schaffen.
Um diese städtebauliche Qualität gewährleisten zu können, müssen strategisch wichtige Grundstücke erkannt werden. Wenn diese nicht in öffentlichem Besitz sind, muss deren Nutzung durch Verträge geschützt werden. Geschieht dies nicht, wird die Gestaltung der Stadt zum Spielball privater Interessen.
02. Stadt lebt vom öffentlichen Raum
Ein Drittel jeder Stadtfläche ist öffentlicher Raum, Stadtboden im öffentlichen Eigentum. Straßen und Plätze, Bahnhöfe, Parks, Fluß- und Seeufer gehören dazu. Sie erschließen und versorgen die Häuser der Stadt.
Auf der Straße rollt der Fahrzeugverkehr, sie ist aber auch Bewegungsraum für Fußgänger und Radfahrer. Die Straßenränder bieten geschützte Nischen zum Aufenthalt. Denn die Straße ist nicht nur Transitstrecke, sondern gleichzeitig Laufsteg, Flaniermeile und Bühne, deren Leben wir vom Kaffeehaustisch oder von einer Bank aus betrachten wollen. Plätze und Parks bieten freien Raum für Märkte und Feste und laden mit schattenspendenden Bäumen zu Aufenthalt und Erholung ein.
Im öffentlichen Raum begegnen sich die Menschen. Je belebter öffentliche Räume sind, desto attraktiver sind sie. Öffentlicher Raum muss daher einladend gestaltet sein. Um die Nutzerfrequenz zu allen Tages- und Nachtzeiten hoch zu halten, muss der öffentliche Raum gleichzeitig alle Einrichtungen erschließen, die eine Stadt zum alltäglichen Funktionieren braucht. Bei der Gestaltung öffentlicher Räume ist der Stadtbewohner als Fußgänger und Radfahrer der Maßstab, der Attraktionsdichte und die Wegdistanzen bestimmt.
Wegen seiner zentralen Bedeutung muss bei jeder Neuordnung wichtiger innerstädtischer Flächen der öffentliche Raum im Zentrum des Planungsgeschehens stehen. Bei großflächigen Areal-Entwicklungen ist ein dichtes Netz öffentlicher Wege auf öffentlichen Grundparzellen einzuplanen.
03. Stadt braucht Quartiere – deren Qualität schafft Verbindung
Was in Berlin der Kiez ist, das ist in Wien das Grätzl, in Brasilien der Bairro und bei uns das Quartier.
Jedes Stadtviertel ist wie eine große Wohnung. Es ist ein Lebensraum mit eigener Geschichte und Identität. Topografisch und bauhistorisch bedingt existiert in Bregenz ein räumliches Entwicklungspotenzial – vor allem nach Innen.
Das momentan brachliegende Areal um den Bregenzer Bahnhof zählt zu den am besten erschlossenen Flächen des Landes. Anstelle von Projekten sind hier Quartiere zu entwickeln. Diese müssen ein Maximum an örtlichen Qualitäten nutzen und mit ihren Eigenarten Identität schaffen.
Wir sehen die Stadt als Wohnort, als Erlebnisraum, als Zentrum für Einkauf und Handel. Das Stadtzentrum mit seinen mannigfaltigen Qualitäten ist attraktiv und die einzelnen Stadtviertel als Organismen mit individuellen Inhalten und Prägungen sind eine Bereicherung. In einer solchen Stadt wird man flanieren, von Viertel zu Viertel schlendern, vom Kornmarkt ins Quellenviertel spazieren. Nur durch lebendige Quartiere in Bregenz Mitte wird es gelingen, die westlich gelegenen Stadtviertel nahtlos an das heutige Zentrum anzubinden.
04. Ortsbezug und Vielfalt schaffen städtische Identität
Wenn wir etwas städtisch nennen, ist es immer positiv – es beschreibt Weltoffenheit, Innovation, Eleganz und Vielfalt. In struktureller, funktionaler, architektonischer, kultureller, sozialer und eigentumsrechtlicher Hinsicht.
Kein Planungsprozess kann diese Bündelung von Qualitäten zufriedenstellend abdecken. Temporäre Angebote und Leerstellen lassen Spielraum für zukünftige Entwicklungen. Zeit baut Stadt.
Städte etablieren sich durch einzigartige regionale Merkmale, der Ort ist eine wesentliche Inspirationsquelle für die Entwicklung einer städtischen Identität. Bregenz hat durch die Lage zwischen Berg und See und als Knotenpunkt historischer und zukunftsfähiger Verkehrswege, durch seine Geschichte und nicht zuletzt aufgrund des kreativen Potentials alle Möglichkeiten, sein eigenständiges Profil zu schärfen. Jeder Ort hat seinen eigenen Maßstab – der Maßstab von Bregenz ist kleinteilig. Kleinteiligkeit kann eine Antwort auf die Uniformität der globalisierten Stadt mit immer gleichen Handelsketten, Marken und Angeboten geben.
Nutzungsvielfalt ist eine Grundbedingung für eine lebendige Stadt – nur Handel, Dienstleistung und Wohnen sind dafür zu wenig. Stadt lebt von öffentlichem Raum. Lebendiger öffentlicher Raum braucht öffentliche Nutzungen. Erst die Vielfalt der Angebote öffnet die Stadt für eine Vielfalt von Nutzern – und deren Vielfalt
05. Dichte fordert Qualität
Bauliche Dichte ist eine entscheidende Bedingung für das Entstehen von Stadt und Stadträumen, aber Dichte allein erzeugt keine Urbanität. Hohe Dichte ist dann gerechtfertigt und positiv, wenn sie einen Mehrwert für eine Mehrzahl an Menschen schafft. Und das rund um die Uhr.
Zum Gelingen von Stadt als lebendigem Organismus darf Dichte nicht rein quantitativ diskutiert werden, sondern vor allem anhand der zu generierenden Qualitäten des öffentlichen Raums. Denn der funktionierende öffentliche Raum ist es, der eine nachhaltige Belebung eines Quartiers bewirkt.
Dichte über ein großes Stadtgebiet betrachtet, ist kein konstanter Faktor. Das Variieren der Dichte bzw. die Variation von Enge und Weite im Erlebnisraum der Stadt ist ein wesentliches Merkmal attraktiver Städte. Nur wo es bauliche Dichte gibt, können Freiräume auch als städtische Plätze ausgebildet werden.
06. Durchwegung schafft Vernetzung
Wie wir Bregenz erleben, hängt maßgeblich davon ab, wie wir uns durch die Stadt bewegen, welche Eindrücke uns dabei begleiten und welche räumlichen Qualitäten wir erleben.
Ein Netzwerk an Stadträumen, Wegen und Beziehungen strukturiert die gebaute Stadt, und sorgt mit seinen Längs- und Querverbindungen für Flexibilität und Durchlässigkeit des Stadtorganismus. Kreuzungsbereiche sind wertvolle Kristallisationspunkte des öffentlichen Lebens, sozialer Interaktion und lebendiger Stadtkultur. Sie fördern die Entwicklung des öffentlichen Raums.
Die besondere Lage von Bregenz Mitte bietet die Chance, das Quartier zum See und zum Bahnsteig in seiner vollen Länge zu öffnen und damit Seebezüge in die Stadt zu holen. An die Stelle von Barrieren treten Durchlässigkeit und Lebendigkeit.
07. Häuser sind Bausteine der Stadt
Die Errichtung von Gebäuden erfolgt primär zur Erfüllung spezifischer Bedürfnisse ihrer Errichter. Wirtschaftlichkeit und Rentabilität nehmen selbsterklärend einen hohen Stellenwert in der Projektentwicklung ein. Jedes Gebäude ist ein Stadtbaustein und somit Teil des Stadtkörpers. Unabhängig von seinem Maßstab leistet es einen Beitrag zum Gelingen oder Misslingen einer Stadtentwicklung.
Die Gestaltung eines Gebäudes kann mit der Gestaltung eines Quartiers verglichen werden. Wird bei der Entwicklung eines Gebäudes dem positiven Beitrag an die Öffentlichkeit dasselbe Augenmerk geschenkt wie der Befriedigung der eigenen Bedürfnisse, so profitiert die gesamte Umgebung, das gesamte Quartier und letztendlich die ganze Stadt. Es entsteht attraktiver Lebensraum und Rentabilität für alle.
08. Erdgeschosszone als Schlüssel zur lebendigen Stadt
Stellen wir uns einen städtischen Platz mit geschlossener Sockelzone und wenigen spärlichen Öffnungen vor: Wohin können wir uns wenden, worauf sollen wir unseren Blick lenken, wie fühlen wir uns?
Demgegenüber das Bild einer Situation mit vielfältigen Nutzungen im Erdgeschoß: Im Gastgarten eines Kaffeehauses entdecken wir Freunde, Geschäftsportale laden zum Eintreten oder Verweilen ein, auch öffentliche Einrichtungen haben Platz und locken ein breites Publikum an – auf einem solchen Platz fühlen wir uns willkommen und angenommen.
Lebendige Stadt ist ein Ort, an dem die Grenzen zwischen Innen und Außen möglichst verschwimmen. Je öfter wir eintreten oder mit dem Blick in Schaufenster, Foyers und Vorbereichen verweilen können, desto spannender ist unser Spaziergang durch die Stadt.
Kleinteilige Strukturen schaffen viele Ein- und Ausgänge, sie vermehren Belebung und Frequenz. Nichts ist für den Flaneur langweiliger und unattraktiver als der Weg entlang verklebter Fassaden von Supermärkten und Einkaufszentren. Je gegliederter und durchmischter die Strukturen und Funktionen sind, umso größer ist auch die Wahrscheinlichkeit breit über den Tag verteilter Öffnungszeiten.
Die Innen- und Außenräume einer Stadt sind wie kommunizierende Gefäße, je stärker die Verbindungen, desto mehr profitiert das Eine vom Anderen.
09. Künftige Mobilität mitdenken
Unsere Mobilität steht vor großen Umbrüchen. Selbständig fahrende, emissionsfreie Verkehrssysteme werden mittelfristig Einzug halten. Diese Technologiesprünge können Platz schaffen auf den Straßen und Parkplätzen, die Aufenthaltsqualität in den Quartieren erhöhen und neue Gestaltungsfreiräume bringen.
Jedes neue Projekt muss deshalb so angelegt sein, dass es einen Beitrag zur Verkehrswende leistet und flexibel auf künftige Umbrüche reagieren kann.
Die verkehrspolitischen Chancen, die in Bregenz Mitte liegen, dürfen nicht unter die Räder kommen: Wir brauchen an der Seestraße Platz für Fußgänger und Radfahrer und eine Gleichrangigkeit aller Verkehrsteilnehmer, einen Boulevard anstatt 400 Meter Stadtautobahn in einer der schönsten Lagen von Bregenz.
10. Verantwortung durch Mitbestimmung
Gute Entwicklungen gelingen, wenn Fachleute mit Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch kommen. Wir wollen eine Form der Teilhabe und Mitsprache, die den Fachleuten den Raum für brillante Konzepte und Entscheidungen gibt und gleichzeitig die Vielfalt der Interessen und Bedürfnisse einer bunten Zivilgesellschaft produktiv werden lässt.
Vor einem Jahr wurde der langjährige Planungsprozess für gescheitert erklärt. Eine Adaptierung des Projekts wird nicht ausreichen. Strukturelle Defizite müssen analysiert, Planungsziele neu definiert werden. Der Verkauf von Bregenz Mitte an Investoren ohne Projekte war ein Fehler. Bregenz Mitte muss von Grund auf neu gedacht werden. Dazu braucht es Mut zu einer neuen politischen Kultur. Wo eine solche bisher gelebt wurde, entstanden gute Ergebnisse mit großer Ausstrahlung, wie der Kornmarktplatz zeigt.
Seit November 2016 wurde in Gesprächen, Veranstaltungen und Stadtspaziergängen das Interesse und das Mitdenken vieler Menschen aktiviert, Potentiale gesammelt und gebündelt. Das entstandene Netzwerk bietet eine breit abgestützte Basis für die weitere Arbeit an attraktiven Lösungen.